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Was sind die Vorteile von aktivem Dehnen?

Aktives Dehnen

Aktives Dehnen beeinflusst die neuronale AktivitÀt

Beim aktiven Dehnen erfolgt neben dem Dehnen der Muskulatur auch eine Anspannung (Kontraktion) der gegenspielenden Muskulatur. Dadurch kann unter anderem die neuronale (nervliche) AktivitÀt beeinflusst werden. Gleichzeitig wird die Selbstwahrnehmung geschult.

Beweglichkeit ist eine wichtige Voraussetzung fĂŒr korrekte BewegungsausfĂŒhrungen. Es fĂŒhrt zu psychischen Entspannungseffekten und hilft dabei, muskulĂ€re Dysbalancen zu verhindern oder auszugleichen und damit gegen HaltungsschwĂ€chen und -schĂ€den und gegen Schmerzen. Mehr ĂŒber die Wichtigkeit von Dehnen haben wir in unserem Beitrag „Mythen rund ums Dehnen“ beschrieben.

Was versteht man unter aktivem Dehnen?

Unter dem aktiven Dehnen versteht man eine Form des Beweglichkeitstrainings, bei dem ein Muskel gedehnt wird und sein Gegenspieler (Antagonist) gleichzeitig angespannt (kontrahiert) wird. Daher kommt auch der verwendete Name „Antagonist Contract Stretching“ (AC Stretching).

Was ist der Unterschied zwischen Agonist und Antagonist?

Agonist und Antagonist

Wird beispielsweise die OberschenkelrĂŒckseite gedehnt, so wird bei dieser aktiven Dehnmethode die Oberschenkelvorderseite gleichzeitig angespannt. Die Vorderseite (in diesem Fall bestehend aus mehreren Muskeln) stellt den antagonistischen Teil des zu dehnenden Muskels (oder der zu dehnenden Muskelgruppe) dar.

Als Antagonist wird ein Muskel bezeichnet, der fĂŒr die kontrĂ€re Gelenksbewegung zustĂ€ndig ist. Die Muskulatur im Bereich der Oberschenkelvorderseite ist hauptsĂ€chlich fĂŒr das Beugen des HĂŒftgelenks, sowie das Strecken des Kniegelenks verantwortlich. Dies steht entgegen der TĂ€tigkeit der OberschenkelrĂŒckseite, welche fĂŒr die Streckung des HĂŒftgelenks und die Beugung des Kniegelenks zustĂ€ndig ist.

Das Ziel der aktiven Dehnmethode ist neben der Erhaltung und Steigerung der Beweglichkeit die Schulung der muskulÀren Wahrnehmung und Kontrolle, sowie zusÀtzlich eine Hemmung der neuronalen (nervlichen) AktivitÀt des gedehnten Muskels.

Was bedeutet neuronale AktivitÀt?

Einfach gehalten unterscheiden wir in diesem Beitrag zwei Bereiche:

  • Einerseits das direkte, bewusste „Ansteuern“ der Muskulatur, um diese anzuspannen und eine Zielbewegung auszufĂŒhren. Zum Beispiel: Ich möchte nach dem Wasserglas vor mir greifen. DafĂŒr wird vom Gehirn aus ein neuronales Signal ĂŒber das RĂŒckenmark in der WirbelsĂ€ule weitergeleitet in die Muskulatur, welche ich fĂŒr diese Zielbewegung (das Anheben und nach vorne fĂŒhren des Armes) benötige.

    Ihr möchtet mehr dazu erfahren? Folgt uns, um unseren nĂ€chsten Beitrag „Motorische Kontrolle - vom Gedanken zur Bewegung“ nicht zu verpassen!

  • Damit diese Bewegung erfolgreich ausgefĂŒhrt wird, gibt es einen zweiten Bereich – die Reflexe. Unsere Muskulatur ist in sich selbst (intramuskulĂ€r) und im Zusammenspiel mit anderen Muskeln des Körpers (intermuskulĂ€r) in neuronalen Verbindungen, um uns vor Fehlbewegungen und möglichen Verletzungen zu schĂŒtzen. Reflexe werden im Gegensatz zu den oben beschriebenen Zielbewegungen nicht vom Gehirn aus gesteuert, sondern erfolgen ĂŒber sogenannte Zwischenneurone im RĂŒckenmark. Wir können sie daher nicht bewusst auslösen – sie werden vom Körper „automatisch“ ausgelöst. Der wohl bekannteste Reflex ist der Dehnungsreflex, bzw. Patellarsehnenreflex. Ein Impuls auf die Patellarsehne unter der Kniescheibe löst eine ruckartige Dehnung des Oberschenkelmuskels (M. quadriceps femoris) und seine Muskelspindeln aus, was zu einer sichtbaren Kontraktion des Muskels fĂŒhrt. Bei unserem Thema des aktiven Dehnens ist allerdings ein anderer Reflex betroffen – die „reziproke Hemmung“.

Beim aktiven Dehnen wird ĂŒber den ersten Punkt eine bewusste Kontraktion des Antagonisten von uns ausgefĂŒhrt. Dies alleine bringt bereits den Vorteil einer verbesserten Selbstwahrnehmung und des Trainings der Muskulatur. Gleichzeitig soll durch diese Anspannung eine Hemmung der AktivitĂ€t des Gegenspielers (reziproke Hemmung) ausgelöst werden. Ein entspannter Muskel lĂ€sst sich einfacher dehnen.

Welche Vorteile bringt das aktive Dehnen?

Vergleichbar mit anderen Dehnmethoden bringt das aktive Dehnen eine Erhaltung oder Steigerung der Beweglichkeit mit sich. Weitere Methoden haben wir in unserem Beitrag „Methoden des Dehnens“ beschrieben.

Das aktive Dehnen ist eine Form der Eigendehnung. Die Dehnung erfolgt also nicht passiv durch eine Maschine oder andere Person, sondern der Trainierende dehnt sich selbst. Dadurch besteht wĂ€hrend der gesamten BewegungsausfĂŒhrung die uneingeschrĂ€nkte Möglichkeit der Handlungsregulation. Auf dem Beitragsbild seht ihr zusĂ€tzlich eine unterstĂŒtzende Trainerin. Wenn das Anheben des Beines bei dieser Übung eine zu hohe Muskelkraft benötigt, kann ein Teil davon von einer zweiten Person abgenommen werden, sodass die Anspannung in der Oberschenkelvorderseite nicht zu groß wird. Tipp: Diese Dehnung kann auch sehr gut in RĂŒckenlage ausgefĂŒhrt werden, wobei weniger Kraft benötigt wird!

Ein weiterer Vorteil des aktiven Dehnens ist die Schulung der Selbstwahrnehmung. Durch das stetige sensorische Feedback aus der Muskulatur wird die Wahrnehmung der Muskeldehnung und -spannung geschult, und gleichzeitig das inter- und intramuskulÀre Zusammenspiel (das Zusammenspiel innerhalb eines Muskels, sowie zwischen verschiedenen Muskelgruppen) positiv gefördert.

Je nach Trainingszustand kann das aktive Anspannen der Muskulatur auch zu einem Trainingsreiz (Krafttraining) fĂŒhren. Da die Spannung jedoch relativ gering gehalten wird, ist dieser Reiz vornehmlich in der Kraftausdauer zu beobachten und bei bereits gut trainierter Muskulatur fĂŒhrt es zu keiner VerĂ€nderung der Leistung.

Das aktive Dehnen bringt vor allem in der dynamischen Variante (mit rhythmischen weichen bis hin zu schneller wippenden Bewegungen in der Dehnposition) erwĂ€rmende Effekte mit sich. Wichtig: Es ersetzt aber dennoch kein AufwĂ€rmen! Wer vor einer Trainingseinheit gerne dehnen möchte, sollte dies immer nach einer AufwĂ€rmphase machen, denn kalte Muskulatur ist auf zu große Dehnreize nicht gut vorbereitet. Im Leistungssport wird Dehnen vor dem Training generell nicht empfohlen, weil es zu kurzfristigen Abnahmen der maximalen Leistung (vor allem Maximalkraft und Schnelligkeit) fĂŒhren kann. Im Gesundheitssport steht die maximale Leistung meist weniger im Vordergrund und Dehnen – vor allem in aktiven und dynamischen Varianten – kann gerne in einer Trainingseinheit integriert werden. Dehnen kann aber genauso als eigenstĂ€ndige Trainingseinheit durchgefĂŒhrt werden.

Klinisches und wissenschaftliches Interesse:

Forschung reziproke Hemmung

Die im Beitrag beschriebene reziproke Hemmung ist von großem klinischen und wissenschaftlichen Interesse. In den 90er Jahren wurde bereits nachgewiesen, dass die reziproke Hemmung sich bei unterschiedlichen Krankheitsbildern verĂ€ndert, beispielsweise bei Patienten mit Parkinson, Zerebralparese, Multipler Sklerose, durch RĂŒckenmarksverletzungen oder GehirnlĂ€sionen nach einem Schlaganfall. Ebenso wurde in Studien die Abnahme der reziproken Hemmung mit dem Alter beobachtet.

Diese VerÀnderungen werden in Zusammenhang mit der reduzierten Bewegungskontrolle im Alter und bei bestimmten Krankheitsbildern gebracht, weshalb die Entwicklung von Interventionsstrategien zur Verbesserung oder Erhaltung der neuronalen Strukturen stark erforscht wird. Studien zeigen erste Erfolge durch aktives Dehnen und das Potenzial, dass gezieltes Training die reziproke Hemmung bei lokomotorischen (die Fortbewegung betreffenden) und auch bei komplexeren Bewegungen beeinflussen kann.

Quellen:

Blazevich, A. J., Kay, A. D., Waugh, C., Fath, F., Miller, S., & Cannavan, D. (2012). Plantarflexor stretch training increases reciprocal inhibition measured during voluntary dorsiflexion. Journal of neurophysiology, 107(1), 250-256.

Crone C, Nielsen J, Petersen N, Ballegaard M, Hultborn H. Disynaptic reciprocal inhibition of ankle extensors in spastic patients. Brain 117: 1161–1168, 1994.

Hortobagyi T, del Olmo MF, Rothwell JC. Age reduces cortical reciprocal inhibition in humans. Exp Brain Res 171: 322–329, 2006.

Lamy JC, Wargon I, Mazevet D, Ghanim Z, Pradat-Diehl P, Katz R. Impaired efficacy of spinal presynaptic mechanisms in spastic stroke patients. Brain 132: 734 –748, 2009.

Leonard CT, Moritani T, Hirschfeld H, Forssberg H. Deficits in reciprocal inhibition of children with cerebral palsy as revealed by H reflex testing. Dev Med Child Neurol 32: 974 –984, 1990.

Meunier S, Pol S, Houeto JL, Vidailhet M. Abnormal reciprocal inhibition between antagonist muscles in Parkinson’s disease. Brain 123: 1017–1026, 2000.